53 tion. Man erkennt und schätzt ihn, die Popu- larität ist ungebrochen. Häßler freut sich darüber, genervt ist er fast nie, wenn er um Fotos oder Autogramme gebeten wird. „Ich bin stolz darauf, den Menschen etwas hin- terlassen zu haben und habe nie etwas dage- gen, wenn ich auf die WM 1990 und das Tor gegen Wales angesprochen werde.“ Das Tor gegen Wales. Das Tor seines Lebens. Wer nicht an Schicksal glaubt, kann bei den Zutaten dieser Geschichte stutzig werden. Herbst ‘89, die Mauer war gerade gefallen, das euphorisierte Deutschland brauchte einen Sieg gegen Wales, um zur WM zu fah- ren. Und zwei Exil-Berliner sorgten in ihrer Wahlheimat Köln für den Erfolg. Flanke Pierre Littbarski, Tor „Icke“ Häßler, 2:1, deutsche Fußballgeschichte. 1 0 1 L Ä N D E R S P I E L E Häßler stand nie im Verdacht, ein großer Philosoph zu sein, aber in einem Punkt hat sich seine Prognose an diesem Abend ein- drucksvoll gegenüber der eines großen Phi- losophen als die richtige erwiesen. Nach seinem Tor hatte Häßler orakelt, dass er wohl nie wieder einen vergleichbar bedeu- tenden Treffer erzielen würde. Otto Rehha- gel diente dem ZDF damals als Experte, Häßlers Kommentar kommentierte er mit dieser Weissagung: „Er ist noch so jung, er wird noch wichtigere Tore schießen.“ Ein Irrtum. Zugegeben, Rehhagel konnte nicht wissen, was Häßler schon ahnte: Dass die- ses Tor der Assist zum WM-Triumph sein würde. „Mir war klar, dass wir bei der WM eine gute Rolle spielen können“, sagt Häß- ler. Das taten sie, eine sehr gute, mit Häßler als wichtigem Darsteller. Zurück in Berlin-Lankwitz. Häßler beobach- tet, korrigiert gelegentlich. Enger stehen, verschieben, pressen – seine Kommandos sind dezent und dosiert. Als Trainer verfügt er über eine natürliche Autorität, die sich nicht nur aus seiner Vita speist. Meist sind es die Eltern der Spieler, die auf Anhieb wis- sen, wer er ist. Nicht selten ist es so, dass neue Spieler den Namen Thomas Häßler in eine Suchmaschine eingeben und dann ver- blüfft sind, wer da vor ihnen steht und ihnen das Spiel erklärt. Häßler ist ja mehr als sein Tor gegen Wales. 101 Länderspiele hat er absolviert, es gibt nur zehn deutsche Fuß- baller, die mehr Einsätze haben. Dem WM- Titel von 1990 ließ er 1996 den EM-Titel folgen, bei der EM 1992 in Schweden wurde er zum besten Spieler gekürt. Und dann die Vereinskarriere: Häßler hat für Köln gespielt, brilliert, für Juventus Turin, AS Rom, den Karlsruher SC, Borussia Dortmund und im Herbst der Laufbahn für den TSV 1860 Mün- chen und Austria Salzburg. G R O S S E T R A I N E R E R L E B T Und nun – Landesliga. Thomas Häßler stört dies nicht – seine Liebe für das Spiel und seine Zuneigung zum Ball hängen nicht von der Spielklasse ab. Die Aufgabe eines Trai- ners besteht für ihn immer darin, die Spieler besser zu machen. Und man kann es so sehen: In der Landesliga ist das Potenzial dafür grö- ßer als bei der Nationalmannschaft. Häßler hat während seiner Karriere unter großen Trainern trainiert: Hannes Löhr, Georg Keß- ler, Christoph Daum, später Winnie Schäfer und Werner Lorant. Er hat verschiedene Ein- flüsse erfahren: In Turin war Gigi Maifredi sein Trainer, in Rom Vujadin Boškov, Serbi- ens wohl größte Trainerlegende. Die Frage, wer ihn am meisten beeinflusst hat, beant- wortet Häßler ohne langes Zögern: „Chris- toph Daum.“ Und warum? „Ich habe viele Trainer kennengelernt, aber er ist ohne Frage der größte Motivator, der mir begegnet ist. Und die Erfolge, die wir beim FC unter ihm hatten, sprechen für sich.“ Zweimal wurde Häßler unter Daum mit dem FC Vizemeister, im UEFA-Pokal erreichte das Team das Halb- finale 1990 gegen Juventus Turin. „Es war eine tolle Zeit, an die ich mich immer gerne erinnern werde“, sagt Häßler. Hat er etwas von Daum übernommen, schlummert in ihm ein kleiner Daum? Häß- ler will keine Kopie sein, er pflegt seinen eigenen Stil. Als Spieler stand er für das Schöne im Fußball, für Leichtigkeit und Finesse. Als Trainer ist Häßler nicht zu wenig streng, er legt Wert auf Disziplin, auf dem Platz und daneben. Genauso aber darauf, dass die Spieler Spaß haben, dass sie gerne zum Training kommen. „Bei mir muss in fast allen Übungen ein Ball dabei sein“, sagt er. Seine Mannschaften sollen Ballbesitzfuß- ball spielen, dafür benötigt er Spieler, die mit dem Besitz des Balls etwas anfangen können. Häßler hat einen langen Mietver- trag abgeschlossen im Preussenstadion, der Kontrakt wurde während der Corona- Pandemie um fünf Jahre verlängert. Eine lange Laufzeit, die auch ein gegenseitiges Bekenntnis ist. Häßler und die Preussen wissen, was sie aneinander haben. „Ich mag das Familiäre hier“, sagt Häßler, „ich mag aber auch die Ambitionen.“ Der Verein hat viel vor. Mittelfristig soll es in die Berlin- Liga gehen, langfristig ist die Oberliga das Ziel. „Hier ist viel möglich. Es ist ein sehr spannendes Projekt“, sagt Thomas Häßler, „mich zieht hier nichts weg.“ T E X T Steffen Lüdeke F O T O S (1) Getty Images/Boris Streubel, (2) imago/Sven Simon, (3) Picture Alliance/dpa/ Frank Kleefeldt, (4) Picture Alliance/HJS-Sport- fotos, (5) imago/Eduard Bopp