1_Matthias Ginter ist mittlerweile eine feste Größe in der deutschen Auswahl. 1 U C H 21 Matthias Ginter ist immer schon ein verlässlicher Natio- nalspieler gewesen, aber in ihm steckt noch viel mehr. Im vergangenen Jahr hat er noch einmal einen gewal- tigen Sprung gemacht. Das haben auch die Fans regis- triert: Sie wählten den 26-Jährigen von Borussia Mönchengladbach zum „Nationalspieler des Jahres 2019“. Und das schönste Tor erzielte er auch noch. W eltmeister sind ja inzwischen rar gesät im derzeitigen Kreis der Fuß- ball-Nationalmannschaft, Manuel Neuer, ja, Toni Kroos, natürlich, Julian Drax- ler, ebenso, und: Matthias Ginter. Mehr ist nicht übrig vom 2014er-Kader aus Rio und Belo Horizonte, aus der alten Zeit, in der Neuer und Kroos Protagonisten und Ginter ein junger, leiser und immer bereitwilliger Spieler aus Freiburg war. Ginter ist Weltmeis- ter, aber er strahlt nie aus der Vergangenheit heraus. Doch da war dieses Traumtor gegen Belarus aus dem November 2019, Ginters erstes Länderspieltor im 29. Spiel, das erste DFB-Tor als Gladbacher Profi im eigenen Sta- dion, sein erster Treffer mit der Hacke. „Ich sag‘ es mal so: Das Tor hat sich im Trai- ning nicht angedeutet“, sagt Matthias Ginter in einem der Räume hoch oben hinter der Tribüne im Borussia-Park. Auf dem Laptop schauen wir uns den Treffer noch einmal an. Gnabry über rechts, flacher Pass auf Ginter, ganz nah am Tor, eigentlich mehr abseits als weniger, und dann ein einziges Kunststück eines Innenverteidigers: Der rechte Fuß hin- ter dem linken Standbein, Hacke, Berührung, Tor, ein Lächeln. „Wenn ich klar darüber nach- denke, käme mir gar nicht der Gedanke, mit der Hacke ein Tor machen zu wollen. Es war die einzige Möglichkeit, den Ball irgendwie noch aufs Tor zu bekommen“, sagt er und lacht. „Es war besonders: Das erste hier im Borussia-Park für mich, mein erstes Länder- spieltor, es hat lange gedauert. Wahrschein- lich sollte es so kommen.“ In seinem 29. Länderspiel war er beim 4:0-Sieg gegen Bela- rus an gleich drei Treffern beteiligt. Die „Süddeutsche Zeitung“ überschrieb am nächsten Tag ihren Ginter-Artikel mit „Ab sofort auch genial“, was eine wunderbare Zeile ist für einen, dessen Nüchternheit seine Klasse und dessen lange gewonnene Cool- ness sein Trumpf ist in diesem aufgeregten Geschäft. Bundestrainer Joachim Löw aus Schönau sagte an diesem Herbsttag in Mön- chengladbach über Matthias Ginter aus dem davon 38,7 Kilometer entfernten Freiburg: „Bei Matthias weiß man als Trainer, was man hat. Solide, seriös, zuverlässig.“ In Ginters Ohren ist dieser Autowerbungssatz ein gro- ßes Lob. Und so war es auch gemeint. K U R Z E N Ä C H T E Es tut ihm gut. Denn Ginter ist auch Zweifler, so war er immer schon. Perfektionist. Die haben es nicht leicht, weil die Wahrschein- lichkeit ziemlich groß ist, dass es perfekt nicht kommt, und dann beginnt schon das Hadern. „Ich mache mir immer am meisten selbst Druck“, sagt Ginter. „Ich strebe nach Perfektion, das ist bei mir verankert. Und es gibt Phasen, da merke ich, dass ich runter- fahren muss.“ Neue Gelegenheiten hat er: Er hat eine Stiftung für geistig, körperlich und sozial benachteiligte Kinder gegründet. Und er ist Vater geworden: Sohn Matteo, sagt er, bringe Freude und Glück. „Es ist wunder- schön, zu Hause einen kleinen Jungen zu haben. Die kürzeren Nächte sind nichts gegen die Freude“, sagt er. Dabei kann er sich ja seiner immer sicherer sein. Die DFB-Fans haben ihn zum „Natio- nalspieler des Jahres 2019“ gewählt, er emp- findet es als „Ehre.“ Er habe gemerkt, sagt Ginter, „dass die Fans da was registrieren. Ich versuche, immer alles rauszuhauen. Ich ver- suche, so mannschaftsdienlich zu sein, wie ich als Typ bin. Vielleicht kommt das bei mir speziell so rüber.“ Aber für diese Auszeich- nungen, sagt er, spiele er nicht Fußball. Es steht fast symbolisch, dass seine erste Natio- nalmannschafts-Erinnerung die WM 2002 in Südkorea und Japan war; der kleine Matthias war damals acht Jahre alt und spielte „im Dorf“, beim SC March, und auf der Leinwand haderte Völler, führte Ballack, traf Klose und hielt Kahn, was man fast ausnahmslos halten konnte; und dann wunderte sich der kleine Matthias, „was für einen Stellenwert dieser Fußball im Dorf hatte“. Es war eine National- mannschaft, die war, wie Ginter ist: fleißig und bescheiden, verlässlich und bereitwillig, voller Fokussierung. „Im Jugendfußball gab es viele Talentiertere als mich. Aber das ist eben nicht alles. Alles sind Einstellung und Ehrgeiz, die tägliche Erkenntnis, sich immer